Woher stammen wir? Diese Frage ist für viele Rechte zentral. Entsprechend oft bemüht sich der politische Gegner, diese Frage auf möglichst abstruse Weise zu beantworten. Etwa, indem der Ursprung der »Deutschen« in die Steppe verlegt wird oder die Hautfarbe von Ötzi und Co. rekonstruiert werden soll.
Mit dem Buch Indogermanen. Herkunft. Eigenschaften. Expanisonsgeschichte (hier bestellen) will der Autor Linus Ammer sich freimachen von derlei zeitgeistigen und meist auf den sozialen Plattformen als Meme verbreiteten Pseudoerkenntnissen. Er zeichnet die Herkunft der sagenumwobenen Indogermanen nach und erklärt, was die Faktenlage ist. Ob den Thesen des Mainstreams schlicht Propaganda entgegengehalten werden soll oder ob tatsächlich etwas dahintersteckt, haben wir mit Linus Ammer im Interview besprochen.
Linus, du hast ein Buch über die »Indogermanen« geschrieben. Darin wird ausgeführt, dass die etablierte Forschung zu diesem Thema unter »politischen Tendenzen« gelitten habe. Erklär das bitte einmal.
Das liegt vor allem daran, dass Herkunftsfragen viel mit Identität und Selbstbewusstsein zu tun haben. Der Grieche sieht die Urheimat gerne in Griechenland, der Armenier sie in Armenien, der Inder ist natürlich auch nicht sehr begeistert von der Vorstellung einer Fremdherkunft seiner Sprache und Religion oder auch nur Teilen davon. Schon deshalb wird es zu Herkunftsfragen immer politische Identifikationsspannungen geben.
Dann kommt bei der Indogermanenthematik noch dazu, dass das Dritte Reich hierin eine sehr klare Position bezogen hat und auch der Arierbegriff, den die Angelsachsen im Imperialismus geprägt haben, mit deutlichem Überlegenheitsdenken verknüpft war. Beides hat dazu geführt, dass in der postkolonialen Nachkriegszeit eine weitgehende Distanzierung sowohl von der alten Begriffswelt als auch der Nordthese stattgefunden hat. Hinzu kommt, dass ein gegenwärtiges Gleichheitsdogma bekanntlich verbietet, evolutive Unterschiede zwischen Menschengruppen hervorzuheben. Dieses Tabu verengt den Raum des Sagbaren zusätzlich. Man spielt »Blinde Kuh«, weil alles andere rassistisch wäre.
Woher kommt der Wunsch etablierter Forschung, die Indogermanen unbedingt in der »Steppe« anzusiedeln?
Zunächst einmal muss ich festhalten, dass die berühmte Jamnaja-Kultur, die herkömmlich als Quellpunkt der Indogermanen genannt wird, auch wirklich indogermanisch ist. Nur ist sie eben nicht nach Europa eingewandert, sondern in noch früherer Zeit von dort ausgewandert. Es handelt sich also bereits um eine Etappenheimat eines östlichen Zweigs der Indogermanen.
Damit ist vieles von dem, was gegenwärtig untersucht wird, auch vollkommen richtig. Nur wird sehr wenig Licht auf den westlichen Zweig der Indo-Europäer und dessen hohes Alter geworfen. Und seit Jahrzehnten nimmt man eine Steppeninvasion Europas als gegeben an, obwohl die Quellenlage dafür nichts hergibt. Die Indogermanen waren also sehr wohl in der Steppe und sind von dort zu noch weiteren Eroberungen aufgebrochen. Aber dass über ihre älteste Herkunft und ihren westlicheren Quellpunkt so wenig geforscht wird, ist sicherlich eine Frage der Geldgeber und der Publikationsaufmerksamkeit.
Warum die Steppe eine bequemere, politisch bevorzugtere Urheimat ist als Nordeuropa? Vermutlich, weil sie ein diffuses Durchgangsgebiet ist, weil Europäer keine Autochthonie besitzen dürfen, Einwanderung schon immer etwas Gutes war und weil es für den heutigen Weißen unerträglich geworden ist, sich als »Eroberer« und »Kolonisator« zu begreifen. Diese Bürde schiebt man nun auf die Steppe.
Welche »neuen« Quellen hast du an Land gezogen, die es uns nun ermöglichen, einen anderen Blick auf das Thema zu werfen?
Im Grunde habe ich nicht wirklich »neue« Quellen aufgetan. Man hat seit den 1950ern bis zum heutigen Tag durchweg Ergebnisse geliefert, die die Steppenheimat in Zweifel zogen und viele Forscher haben das in ihren jeweiligen Sachgebieten angesprochen. Ich habe also lediglich zusammengetragen und alle Disziplinen abgeklopft. Die Leistung besteht hier eher darin, mich getraut zu haben, hinter ein »2 + 2 = ?« eine »4« zu schreiben.
Um die wichtigsten Forscher der letzten Jahrzehnte auszugsweise zu nennen: Lothar Kilian hat gezeigt, dass die Steppeneinwanderung keine archäologische Grundlage besitzt; er und viele andere haben die Autochthonie der mitteleuropäischen Schnurkeramik nachgewiesen. Hans Krahe, Wolfgang Schmid und ihre Kollegen haben festgestellt, dass das indogermanische Sprachgut (etwa Flussnamen) in Zentraleuropa die älteste Schicht bildet und hier keine vorindogermanischen Toponyme existieren. Der russische Professor Klejn hat kürzlich die Steppengenetiker mit ihren eigenen Methoden widerlegt: Er visualisierte ihre zentrale Studie und führte sie meisterhaft ad absurdum. Da er die Jamnaja-Kultur jahrzehntelang vor Ort erforscht hat, wiegt seine Stellungnahme besonders schwer. Der Pole Zalizniak konnte vor wenigen Jahren nachweisen, auf welchen Wegen die Steppenindogermanen aus dem südlichen Ostseeraum abstammen.
Die Quellen sind weder so alt, dass man ihnen eine Tendenziösität aus der Zeit der Weltkriege unterstellen müsste, noch sind sie erst gestern entstanden. Traurig ist vielmehr, dass über all diese Erkenntnisse kaum geschrieben, bebildert, ausgestellt oder vertieft geforscht wird.
Ist das Thema damit abgeschlossen? Oder warten wir auf neue Erkenntnisse in der Zukunft?
Ich glaube, das große Rätsel der Indogermanen ist enträtselt: Woher sie kamen, wer sie waren, wie ihre Expansion verlief. Ich hoffe, mit meinem Überblickswerk diesen tiefgreifenden Fragen befriedigende und erhellende Antworten verschafft zu haben.
Das Thema ist aber mitnichten erschöpft. Gerade weil man sich jahrzehntelang auf Scheuklappenforschung eingeschossen hat, sind viele Detailzusammenhänge noch im Nebel. In der Archäogenetik wird sicher noch viel Spannendes zutagetreten, finge man nur einmal an, die richtigen Fragen zu stellen und von den vorgegebenen Clustern abzuweichen. Besonders was die altsteinzeitlichen Vorkommnisse angeht, arbeiten wir natürlich mit sehr dünner Quellenlage. Hier sind noch viele Fragen offen.
Und auch die frühesten Verbreitungswellen der Indo-Europäer in Jungsteinzeit und Bronzezeit haben vermutlich noch viele unerwartete Erkenntnisse zu bieten. Das sind Jahrtausende an spannender Weltgeschichte, von denen wir bislang oft nur die Grundzüge kennen.
Linus, vielen Dank für das Gespräch!
(Das Interview führte Volker Zierke.)